Bestimmt ist dir die Aussage schon einmal untergekommen: Wir kommen in der Pferdeausbildung vom Groben zum Feinen.
In der Regel wird sie als Begründung dafür genutzt, dass Dinge während der Ausbildung nicht immer oder nicht gleich harmonisch oder fein aussehen. Und oft auch als Rechtfertigung dafür, ein junges Pferd oder ein Pferd, welches gerade etwas Neues lernen soll, mit mehr Druck zu arbeiten.
Natürlich kann kein Pferd alles von allein und nicht alles sieht gleich so aus, wie wir es langfristig anstreben.
Dennoch ist es falsch, weniger Können mit mehr Druck zu begegnen.
Wenn mein Pferd etwas noch nicht kann, weil ihm Kraft oder Koordination dafür fehlen oder es etwas noch nicht verstanden hat, liegt die Lösung nicht darin, stärker einzuwirken, bis das Pferd macht, was ich möchte.
Die Lösung liegt vielmehr darin, die eigene Herangehensweise zu überprüfen und zu verbessern, dabei weiterhin feine und präzise Hilfen zu geben – und dem Pferd gegenüber gleichzeitig sogar etwas nachlässiger zu sein.
So lange ich selbst noch schief sitze, kann kein Pferd korrekt gerade gehen, egal, wieviel Bein oder Zügel ich dafür einsetze. Übergänge ohne Vorbereitung überraschen das Pferd und führen immer zum Verlust der Losgelassenheit.
Ich muss also mir selbst gegenüber immer wieder sehr streng sein, damit ich fein einwirken kann – unabhängig davon, wie fein das Pferd bereits reagieren kann.
Nachlässigkeit als Ansporn für dein Pferd
Denn die Ausführung des Pferdes darf auch bei idealer Vorbereitung und Hilfengebung anfangs noch unkoordinierter oder zeitverzögerter sein, schließlich übt und lernt es ja noch.
Diese gewissermaßen ‚Nachlässigkeit‘ dem Pferd gegenüber ist auch auf psychologischer Ebene wichtig:
Da das Pferd keinen Rüffel bekommt, wenn es etwas nicht sofort versteht oder nicht direkt umsetzen kann, erhalte und stärke ich sein Vertrauen in den Menschen.
Es wird dann auch in der Zukunft willig neue Anforderungen und unbekannte Situationen angehen, denn ich habe mich als vertrauensvoller Partner bewährt.
Also: Ja, wir kommen vom Groben zum Feinen.
Aber damit sollte immer der Anspruch gegenüber dem Können des Pferdes gemeint sein und keine Rechtfertigung für gefühllose Kraftreiterei.
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